Die Erbringung von Schlaflaborleistungen im Krankenhaus vor und nach Inkrafttreten des neugefassten § 75 Abs. 1a SGB V
Das am 23.07.2015 in Kraft getretene GKV-Versorgungsstärkungsgesetz verpflichtete unter anderem die Kassenärztlichen Vereinigungen, bis spätestens zum 23.01.2016 Terminservicestellen einzurichten, um die Wartezeit gesetzlich Versicherter auf einen Termin bei einem Facharzt zu verkürzen.
David Wendland
Durch die Neufassung des § 75 Abs. 1a SGB V – wobei im Zusammenhang mit der Leistungserbringung im Krankenhaus (§ 75 Abs. 1a S. 7 SGB V) auch § 76 Abs. 1a SGB V nicht zu vernachlässigen ist – haben die Kassenärztlichen Vereinigungen eine angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der vertragsärztlichen Versorgung sicherzustellen, wozu sie besagte Terminservicestellen einrichten, welche nach Anrufung durch den Versicherten tätig werden. Kann eine Terminservicestelle dem Versicherten innerhalb einer Woche keinen Behandlungstermin bei einem an der ambulanten Versorgung teilnehmenden und in zumutbarer Entfernung erreichbaren Leistungserbringer i.S.d. § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V (Vertragsarzt, medizinisches Versorgungszentrum, ermächtigte(r) Arzt oder Einrichtung) vermitteln, hat sie ihm einen ambulanten Behandlungstermin in einem zugelassenen Krankenhaus anzubieten, wobei die Wartezeit gemäß § 75 Abs. 1a S. 5 SGB V insgesamt vier Wochen nicht überschreiten darf. Die Inanspruchnahme eines zugelassenen Krankenhauses umfasst gemäß § 76 Abs. 1a S. 2 SGB V auch weitere, auf den Termin folgende notwendige Behandlungen, die dazu dienen, den Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen. Die Terminservicestelle vermittelt einen Behandlungstermin nach § 75 Abs. 1a S. 4 SGB V allerdings nur, wenn der Versicherte an einen Facharzt entsprechender Gebietsbezeichnung überwiesen wurde.
Am Beispiel der Versorgungskapazität zur Durchführung einer kardiosrespiratorischen Polysomnographie und der hinzunehmenden Wartezeit für diese Diagnostik soll die Rechtslage vor wie nach Einrichtung der Terminservicestellen dargestellt werden.
Die Untersuchung von Patienten mit Verdacht auf ein obstruktives Schlafapnoesyndrom und, falls erforderlich, die Einstellung auf nichtinvasive Überdruckbeatmung (vorwiegend nCPAP) nach der in der GBA-Richtlinie „Methoden vertragsärztliche Versorgung“, Anl. I, Z. 3, in § 3 Abs. 7 definierten Stufe 4 wurde bis zum Inkrafttreten des EBM 2000 plus fast ausschließlich von Kliniken unter (teil-)stationären Bedingungen durchgeführt. Im EBM 2000 plus wurde eine neue Nr. 30901 (kardiorespiratorische Polysomnographie) eingeführt, deren Abrechnung an eine Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung (Qualitätssicherungsvereinbarung nach § 135 SGB V) gebunden ist.
In der Folge stellten sich manche Krankenkassen unter Berufung auf § 39 SGB Abs. 1 und § 73 Abs. 4 SGB V auf den Standpunkt, dass die kardiorespiratorische Polysomnographie grundsätzlich nur noch ambulant durchgeführt werden dürfe. Dies gab wiederum Anlass zu vielen Abrechnungsstreitigkeiten, da die ambulanten Versorgungsstrukturen mitnichten dem Versorgungsbedarf entsprachen und zu monatelangen Wartezeiten für die Versicherten führten. Durch die krankenkassenseitig vertretene Auffassung wurde zudem eine flächendeckende Versorgung in einigen Regionen Deutschlands gefährdet.
Bei den Krankenhäusern hatte sich hingegen im Konsens mit der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin die Auffassung etabliert , dass die Diagnostik der in § 3 Abs. 3-5 der GBA-Richtlinie „Methoden vertragsärztliche Versorgung“, Anl. I, Z. 3 definierten Stufen 1-3 dem ambulanten Sektor, jedoch die Stufe 4, d.h. die ggf. erforderliche Ersteinstellung einer CPAP-Therapie in einem Schlaflabor, im stationären Rahmen erfolgen sollte. Dies deshalb, weil die in der GBA-Richtlinie „Methoden vertragsärztliche Versorgung“, Anl. I, Z. 3 genannten Voraussetzungen im ambulanten Sektor nur bedingt erfüllt werden konnten, vor allem in Bezug auf entsprechende zeitliche und räumliche Kapazitäten sowie für die Durchführung der kardiorespiratorischen Polysomnographie benötigten personellen Kapazitäten und Qualifikationen.
Am 16.05.2012 (Az.: B 3 KR 14/11 R, dortige Rn.9) führte das BSG in einer am Grundsatz „ambulant vor stationär“, aber ebenso an der Versorgungsrealität, orientierten Entscheidung sachgerecht zur stationären Erbringbarkeit einer kardiorespiratorischen Polysomnographie aus, „dass die […] Polysomnographie in der Regel Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung und daher ambulant durchzuführen [ist]. Als stationäre Leistung hätte die Schlaflabordiagnostik deshalb […] nur erbracht und abgerechnet werden können, wenn entweder der Versicherte an weiteren gravierenden gesundheitlichen Beschwerden gelitten hätte, die nur mit den spezifischen Möglichkeiten des Krankenhauses zu bewältigen gewesen wären, oder wenn – im Hinblick auf die noch nicht so lange zurückliegende Freigabe für den niedergelassenen Bereich – eine ambulante Versorgung für den Versicherten nicht in dem notwendigen Maße zur Verfügung gestanden hätte. […]“
Grundsätzlich herrschte auch vor der Einführung des § 75 Abs. 1a SGB V Konsens darüber, dass entsprechend der Richtlinie die Stufe 4 (kardiorespiratorische Polysomnographie) unmittelbar im Anschluss an die Stufe 3 (Polygraphie) zu erbringen sei, also die längstens zumutbare Wartezeit bis zur Einleitung der kardiorespiratorischen Polysomnographie für Versicherte 4 Wochen keinesfalls überschreiten dürfe. Bei einer Wartezeit darüber hinaus wurde die Therapieeinleitung unter stationären Bedingungen als notwendig angesehen.
In einem kürzlich durch das Sozialgericht Gelsenkirchen am 11.12.2019 (Az. S 46 KR 616/16) entschiedenen Rechtsstreit bzgl. eines Behandlungsfalls aus April 2015 – also für einen Zeitraum noch vor Inkrafttreten des § 75 Abs. 1a SGB V – erfolgten deshalb von Amts wegen Ermittlungen zur Versorgungssituation zum damaligen Zeitpunkt mit Auskunftsersuchen an sämtliche Vertragsärzte mit Abrechnungsgenehmigung sowohl im Bereich der KVWL als auch der KVNO. Diese wurden um Mitteilung gebeten, wie lange man bei ihnen auf einen Termin für eine kardiorespiratorische Polysomnographie im April 2015 hätte warten müssen.
Im Ergebnis war den Stellungnahmen zu entnehmen, dass Ärzte mit der Abrechnungsgenehmigung kardiorespiratorische Polysomnographie von dieser entweder gar keinen Gebrauch machten oder die kardiorespiratorische Polysomnographie zur Abklärung des Verdachts auf ein Schlafapnoesyndrom, welches unabgeklärt mit erheblichen, potentiell lebensbedrohlichen Risiken verbunden ist, im vertragsärztlichen Bereich nicht im Rahmen der geforderten Stufendiagnostik unmittelbar, sondern auf der vierten Stufe (kardiorespiratorische Polysomnographie) nur mit deutlicher Zeitverzögerung erbrachten. Die Stellungnahmen der Ärzte dokumentierten einen Versorgungsnotstand in der ambulanten schlafmedizinischen Versorgung, aus welchem Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr und mehr für die dringend benötigte medizinische Versorgung der Versicherten resultierten.
Das SG Gelsenkirchen vertrat in besagtem Verfahren die Auffassung, dass aus der gesetzgeberischen Entscheidung hervorgehe, dass die zumutbare Gesamtwartezeit auf einen Facharzttermin maximal fünf Wochen betragen solle. Dies auch für Behandlungsfälle aus dem Jahr 2015, da für solche keine Umstände ersichtlich seien, die dazu veranlassen würden, anzunehmen, dass hinsichtlich der zumutbaren Wartezeit andere Maßstäbe hätten gelten sollen.
Nicht für die Versorgungssituation entscheidend seien Einzelfälle von Ärzten, welche Wartezeiten von vier Wochen angegeben hatten. Insoweit war „zur Überzeugung der Kammer hinsichtlich der Versorgungssituation im ambulanten Bereich unter Berücksichtigung der durch das Bundessozialgericht definierten Voraussetzungen die Versorgungssituation insgesamt zu betrachten. Denn das BSG formuliert die Voraussetzung dahingehend, dass für den Versicherten eine ambulante Versorgung „nicht in dem notwendigen Maße“ zur Verfügung stand.“ Dieses Zusatzes „hätte es sprachlich nicht bedurft, hätte das BSG darauf abstellen wollen, ob eine Versorgung im ambulanten Bereich in zumutbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang im Einzelfall „überhaupt“ verfügbar war, oder nicht. Daraus ergibt sich […], dass auf die Gesamt-Versorgungssituation im ambulanten Bereich abzustellen ist.“
In diesem Zusammenhang darf ergänzend darauf hingewiesen werden, dass die Vertragsärzte, die eine Wartezeit von 4-8 Wochen angegeben haben, für die Versicherte in dem entschiedenen Rechtsstreit bereits nicht in einer Zeit von 20-30 Minuten erreichbar waren. Sofern ein einzelner Arzt in „dringenden Fällen“, womit nur ein medizinischer Notfall und eben keine Regelversorgung gemeint sein kann, Patienten vorzieht, entspricht dies der Notfallbehandlung, die im Übrigen auch jedes Krankenhaus erbringen darf. Zu orientieren ist sich jedoch in rechtlicher Hinsicht, so zutreffend das Bundessozialgericht (a. a. O.), an der Versorgungssituation der Sicherstellung der Regelversorgung, nicht des Notfalls.
Rechtsprechung kann nach diesseitiger Ansicht insoweit insbesondere nicht dazu dienen, stationäre Leistungserbringer, die ihrer Versorgungsverpflichtung in Ermangelung vertragsärztlicher Sicherstellung nachkommen, „abzustrafen“ und Krankenkassen, die diese Versorgungssituation in voller Kenntnis zur Inanspruchnahme von Leistungen für ihre Versicherten ohne eine Gegenleistung ausnutzen, zu belohnen, in dem man diese von der Vergütungspflicht freistellt. Auch deshalb urteilte das SG Gelsenkirchen sachgerecht und erfolgte die Neufassung des § 75 Abs. 1a SGB V als auch die damit einhergehende Aufgabe für die Kassenärztlichen Vereinigungen, Terminservicestellen für alle gesetzlich Versicherten einzurichten.
Gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen legte die beklagte Krankenkasse Berufung ein.
Zusammenfassend lässt sich also Folgendes festhalten:
Durch die Einführung von Terminservicestellen ist nunmehr allen Krankenhäusern aus Beweisgründen im Rahmen der Behandlungsdokumentation anzuraten, sich vor Behandlungsbeginn zu vergewissern, ob die Patienten, bei denen keine gravierenden Begleiterkrankungen vorliegen und/oder eine Notfallsituation gegeben ist und die bei ihnen mit der Bitte zur Durchführung von ambulanten Leistungen vorstellig werden, von der entsprechenden Terminservicestelle an sie gem. § 75 Abs. 1a S.7 SGB V vermittelt wurden. Die benannte BSG-Rechtsprechung, in welchen Fällen die Leistung der Schlaflabordiagnostik doch stationär erbracht und abgerechnet werden kann, hat aufgrund der gesetzlichen Neuregelung somit an Bedeutung verloren.
Überdies darf ein Krankenhaus, an das ein Patient von einer Terminservicestelle verwiesen wurde, weil gem. § 75 Abs. 1a S.9 SGB V für die ambulante Behandlung im Krankenhaus die Bestimmungen über die vertragsärztliche Versorgung gelten, in diesen Fällen auch nur nach EBM abrechnen, dies aber rechtssicher.