Aktuelle Anforderungen an die Fallzusammenführung
Seit Einführung des Fallpauschalensystems 2003 besteht zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen Streit über die Notwendigkeit einer Fallzusammenführung mehrerer aufeinander folgender Aufenthalte. Aus diesem Grunde sollen in der gebotenen Kürze die aktuellen gesetzlichen und höchstrichterlichen Voraussetzungen zusammengefasst werden.
Die Rechtsprechung
Entgegen der eindeutigen Regelungen der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) verlangt die Rechtsprechung deren erweiternde Auslegung. In ständiger Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts wird die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) postuliert und den Krankenhäusern unzulässiges Fallsplitting vorgeworfen (BSG, Urteil vom 01.07.2014, B 1 KR 62/12 R, vom 10.03.2015, B 1 KR 3/15 R und zuletzt vom 28.03.2017, B 1 KR 29/16 R). Nach der vielfach von Kostenträgern angeführten Entscheidung vom 28.03.2017 wurde in der jüngeren Vergangenheit vermehrt eine Fallzusammenführung gefordert. Hierzu führt das BSG in seinem Urteil vom 28.03.2017 (Az.: B 1 KR 29/16 R) aus:
„Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin den Versicherten hätte beurlauben müssen, ist für die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung entscheidend, dass die Klägerin dies jedenfalls nicht umsetzte. Sie entließ den Versicherten tatsächlich formal aus der stationären Behandlung, schloss seine Behandlung am 4.4.2011 ab und beurlaubte ihn nicht förmlich.“
Das BSG führt in dieser Entscheidung weiter aus, dass das Krankenhaus den Patienten zwecks Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) hätte beurlauben müssen. Wähle das Krankenhaus einen unwirtschaftlichen Behandlungsweg, könne es allenfalls die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre. Nach dieser Rechtsprechung muss nicht etwa bereits bei Unterbrechung der Behandlung die Wiederaufnahme festgestanden haben. Vielmehr reicht es gemäß der Urteilsbegründung aus, dass das Krankenhaus bei der Behandlungsunterbrechung die Indikation zur Wiederaufnahme stellt, um die Behandlung zeitnah fortzusetzen.
Gesetzesänderung zum 01.01.2019
Dieser erweiternden Auslegung der FPV durch den 1. Senat des BSG ist der Gesetzgeber im Zuge der Einführung des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes (PpSG, BT-Drucksache 19/5593) entgegengetreten. § 8 Abs. 5 KHEntgG wurde um folgenden dritten Satz ergänzt:
„In anderen als den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen ist eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zulässig.“
Damit dürfte seit der Geltung der Gesetzesänderung, also für Behandlungsfälle mit Aufnahme ab dem 01.01.2019, Klarheit bestehen. Es gelten die formalen Kriterien der FPV, welche der Geltung des Wirtschaftlichkeitsgebots abschließend Rechnung tragen (ebenso bereits der ehemals zuständige 3. Senats des BSG mit Urteil vom 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, RN 18 ff.).
Anwendbarkeit auf Altfälle
Es stellt sich die Frage, anhand welchen Maßstabs Behandlungsfälle zu bewerten sind, in denen der Patient vor der Gesetzesänderung aufgenommen wurde. Es kann gut vertreten werden, dass es sich bei dieser Änderung um eine Klarstellung durch den Gesetzgeber handelt, welche auch für Altfälle gilt. In der BT-Drucksache 19/5593 (S. 125) zu § 8 Abs. 5 S. 3 KHEntgG heißt es:
„Die Ergänzung von § 8 Absatz 5 stellt klar, dass die von den Vertragsparteien auf Bundesebene in der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) getroffenen Abrechnungsbestimmungen zur Fallzusammenführung als abschließende Konkretisierung der Zulässigkeit einer Fallzusammenführung aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots zu verstehen sind. Eine von den Regelungen der FPV abweichende oder darüberhinausgehende Argumentation zur Notwendigkeit einer Fallzusammenführung, die sich auf das Wirtschaftlichkeitsgebot stützt, ist damit nicht zulässig.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser)
Die Gesetzesmaterialien gehen folglich von einer Klarstellung aus. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass auch eine andere Auslegung in der Rechtsprechung vertreten wird. So hat sich bereits das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 21.03.2019, L 5 KR 122/18, gegen eine Geltung der Neuregelung für Altfälle ausgesprochen.
Gegenteilig entschieden hingegen das LSG Bayern mit Urteil vom 29.01.2019, L 5 KR 631/17 und das LSG Hamburg mit Urteil vom 15.11.2018, L 1 KR 68/18. Die Landessozialgerichte rekurrierten auf eine klarstellende Gesetzesänderung. Überzeugend führt das LSG Hamburg (a. a. O) aus:
„Der Begriff der Beurlaubung setzt voraus, dass es etwas gibt, von dem beurlaubt werden kann […]. Denn wo keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit gegeben ist, kann ebenso wenig eine Beurlaubung vorliegen. Der Zeitraum, in dem ein Arbeiter zwischen zwei Beschäftigungen arbeitslos ist, ist auch kein Urlaub, sondern Arbeitslosigkeit.“
Fazit
Für Behandlungsfälle mit erster Aufnahme ab dem 01.01.2019 ist nunmehr lediglich die jeweils geltende FPV einschlägig. Bei Aufenthalten vor dem 01.01.2019 kann mit guten Argumenten eine rückwirkende Klarstellung durch den Gesetzgeber angenommen werden. Aufgrund der skizzierten divergierenden zweitinstanzlichen Rechtsprechung sollte bis dato für Altfälle aber überprüft werden, ob für das Krankenhaus bei der Behandlungsunterbrechung die Indikation für die Wiederaufnahme bereits bestand.