Berücksichtigung struktureller Änderungen im Krankenhaus bei den Pflegepersonaluntergrenzen
Diskussion der Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart, Urteil vom 14.04.2021 – S 9 KR 6256/19
Durch Art. 7 PpSG wurde § 137i SGB V eingeführt, mit dem erstmals auf gesetzlicher Basis verbindliche Pflegepersonaluntergrenzen für bestimmte Bereiche in Krankenhäusern statuiert wurden. Diese Pflegepersonaluntergrenzen basieren auf der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV).
Die Kalkulation erfolgt unter Berücksichtigung der Daten nach § 21 KHEntgG des Vor-Vorjahres. Für das Kalenderjahr 2020 sind daher die Belegungszahlen für das Kalenderjahr 2018 für die Kalkulation heranzuziehen.
Für etwaige organisatorische Veränderungen im Krankenhaus gibt es nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten aktuellere Zahlen zugrunde zu legen, die sich aus § 5 Abs. 4 PpUGV ergeben.
Jan Twachtmann, LL. M.
Fachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwalt Twachtmann berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.
I. Sachverhalt
Das von uns vertretene Krankenhaus verfügte im Jahr 2018 über eine Fachabteilung für Kardiologie und eine Fachabteilung für Innere Medizin. Der Abteilung für Innere Medizin war auch das Notaufnahmezentrum zugeordnet. Aufgrund der kardiologischen Behandlungen im Notaufnahmezentrum gab es im Jahr 2018 gut 4.600 Belegungstage in den kardiologischen Indikatoren-DRGs in der Fachabteilung für Innere Medizin. Damit lag nach dem Grundgedanken der PpUGV ein pflegesensitiver Bereich Kardiologie in der Fachabteilung für Innere Medizin vor.
Zuvor lange geplant war eine organisatorische Veränderung im Krankenhaus, wonach das Notaufnahmezentrum organisatorisch aus der Fachabteilung für Innere Medizin ausgegliedert und als eigenes Zentrum gleichrangig zu den Fachabteilungen mit eigener ärztlicher und pflegerischer Leitung institutionalisiert wird. Diese Änderung trat zum 1.1.2019 in Kraft. Im Laufe des Jahres 2019 zeigte sich dann deutlich, dass die Zahl von 3.000 Belegungstagen in den Indikatoren-DRGs für die Kardiologie in der Fachabteilung für Innere Medizin nicht erreicht werden würde (retrospektiv betrachtet wurde diese Zahlung auch deutlich unterschritten).
Gleichwohl stellte das InEK für die Fachabteilung für Innere Medizin einen pflegesensitiven Bereich fest. Hiergegen erhob das von uns vertretene Krankenhaus Widerspruch und trug unter anderem die strukturellen Veränderungen vor. Gleichwohl wies das InEK den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid zurück.
Gegen die beiden Verwaltungsakte erhoben wir Klage und trugen vor, dass entgegen der grundsätzlichen Regelung die Änderungen zu berücksichtigen waren, einerseits über § 5 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 PpUGV, anderseits über eine im Übrigen festzustellende Rechtswidrigkeit der PpUGV, da § 137i Abs. 1 Satz 9 SGB V dazu verpflichtet, für strukturelle Änderungen Ausnahmen vorzusehen.
II. Entscheidung
Die Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart war erfolgreich. Das Sozialgericht Stuttgart hat die beiden Verwaltungsakte des InEK aufgehoben.
Nach Auffassung der 9. Kammer des Sozialgerichts Stuttgart lag in der Fachabteilung für Innere Medizin kein pflegesensitiver Bereich vor.
Das Sozialgericht Stuttgart bestätigt, dass grundsätzlich die Belegungszahlen für das Kalenderjahr 2018 zugrunde zu legen waren, hier vom InEK aber die im Jahr 2019 umgesetzten strukturellen Veränderungen hätten berücksichtigt werden müssen.
Im Ergebnis folgt das Sozialgericht in der Sache im Übrigen vollumfänglich unserem Vortrag und kommt zu dem Ergebnis, dass § 5 Abs. 4 Satz 2 PpUGV nicht lediglich den ersatzlosen Wegfall von Stationen betrifft, sondern auch die strukturelle Umgestaltung von Stationen, wie eine Ausgliederung oder Umstrukturierung einbezieht. Letztlich lässt sich gut vertreten, dass eine Ausgliederung eines Teils einer Fachabteilung eine Auflösung der bisherigen Abteilung im Sinne von § 5 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 PpUGV sowie Neugründung zweier neuer Abteilungen darstellt.
III. Bewertung
Die Entscheidung ist im Ergebnis und in der Sache zutreffend. Die Entscheidung stärkt die Position von Krankenhausträgern, die im Rahmen ihres Versorgungsauftrags grundsätzlich frei darin sind, binnenorganisatorische Maßnahmen nach freiem Ermessen zu gestalten. Diese binnenorganisatorische Gestaltungsfreiheit würde weitgehend ausgehöhlt, wenn Krankenhausträger zwar frei darin wären, im Rahmen des Versorgungsauftrags die organisatorische Ausgestaltung von (Fach‑) Abteilungen, Schwerpunkten und Zentren zu verändern, gleichwohl aber Pflegepersonal dort vorhalten müssten, wo es nicht gebraucht wird. Neben den (Lohn-) Kosten für das Personal dürfte es auch schwierig sein, die notwendige Anzahl an Pflegepersonen zu rekrutieren. Im Übrigen fehlt das Pflegepersonal dann dort, wo es tatsächlich gebraucht wird, nämlich dort wo sich die kardiologischen Behandlungsfälle befinden.
Im Ergebnis verbleibt es folglich dabei, dass grundsätzlich die Belegungszahlen des Vor-Vorjahres zugrunde zu legen sind, § 5 Abs. 4 Satz 2 PpUGV aber weit auszulegen ist, so dass Umstrukturierungen von der Norm erfasst sind. Krankenhausträger sollten darauf achten, dies dem InEK zeitnah und möglichst transparent unter Angabe der aktuellen und auf das Jahr interpolierten Belegungszahlen zu melden. Nur wenn hinreichend transparent und plausibel die Veränderungen der Belegungszahlen dargestellt werden, wird es dem InEK möglich sein, Veränderungen zu berücksichtigen.
Die Entscheidung des Sozialgericht Stuttgart gegen das InEK ist nicht rechtskräftig, das InEK hat gegen die Entscheidung das Rechtsmittel der Berufung eingelegt Diese ist unter dem Aktenzeichen L 5 KR 1586/21 am Landessozialgericht Baden-Württemberg anhängig.