Aufschlagszahlungen nach § 275c Abs. 3 SGB V
Durch das MDK-Reformgesetz vom 14.12.2019 wurde mit dem § 275c Abs. 3 SGB V ein Aufschlag auf die Differenz zwischen einem ursprünglich zu hoch berechneten Rechnungsbetrag und dem nach der Abrechnungsprüfung durch den MD geminderten Rechnungsbetrag eingeführt. Demnach haben Krankenhäuser ab dem Jahr 2022 bei einem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 Prozent neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag auf diese Differenz an die Krankenkassen zu zahlen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll durch diesen neben der gestaffelten Prüfquote ein weiterer Anreiz für Krankenhäuser geschaffen werden, einer regelkonformen Rechnungsstellung hohe Aufmerksamkeit zu widmen (vgl.: Drucksache 19/13397, S.65).
Dominik Kohl
Fachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwalt Kohl berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.
Der Gesetzgeber hat es in der Regelung des § 275c Abs. 3 versäumt, den zeitlichen Anknüpfungszeitpunkt für die Festsetzung der Aufschläge eindeutig zu definieren. Als mögliche Anknüpfungszeitpunkte kommen das Aufnahmedatum, das Rechnungsdatum oder das Datum der Einleitung der Prüfung in Betracht. Das BMG vertritt die – nicht rechtsverbindliche – Auffassung, dass als Anknüpfungspunkt die (Nicht)Beanstandung durch den Medizinischen Dienst (MD) nach Abschluss dessen Prüfung sei. Zur Begründung führt das BMG aus, dass die Beanstandung des MD erst mit der leistungsrechtlichen Entscheidung der Krankenkasse über die Abrechnungsminderung gegenüber dem Krankenhaus wirksam werde, da erst damit das Krankenhaus Kenntnis darüber erlangt, inwieweit es zur Rückzahlung sowie zur Zahlung von Aufschlägen verpflichtet ist.
Demgegenüber steht die Rechtsprechung des BSG. Dieses hat im Rahmen der Entscheidungen zu den Aufwandspauschalen (vgl.: Urteil vom 23.05.2017 – Az.: B 1 KR 24/16 R) ausgeführt, dass wenn keine ausdrückliche Übergangsregelung existiert, das Leistungsfallprinzip Anwendung findet. Für im Sozialrecht verankerte Leistungsansprüche wirken die geltenden Grundsätze (sog Leistungsfallprinzip im Gegensatz zum reinen Geltungszeitraumprinzip) und die Beachtung des Regelungsschwerpunkts des Gesamtregelungskomplexes zusammen. Der Gesetzgeber wolle nach dem Grundsatz des Regelungsschwerpunkts im Zweifel das Recht angewandt sehen, bei dem der Schwerpunkt der Regelung liegt. Da die Aufschlagszahlung an die Rechnung anknüpft, dürfte nach dem Leistungsfallprinzip die Rechnungslegung ausschlaggebend sein.
Durch den Umstand, dass der Gesetzgeber nach § 275 Abs. 5 hier Widerspruch und Klage als Rechtsbehelfe gegen die Geltendmachung des Aufschlags nach Absatz 3 als gegeben ansieht, macht dieser deutlich, dass es sich bei der Geltendmachung des Anspruchs um einen Verwaltungsakt nach § 31 SGB X handelt. Grundsätzlich kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Eine elektronische Übermittlung – also auch per DTA – ist daher möglich. Dabei kann bereits die Mitteilung des Schlüssels MDK04 einen Verwaltungsakt darstellen. Zu beachten ist daher, dass bereits mit Mitteilung des Schlüssels MDK04 die Widerspruchsfrist beginnt. Zudem ist zu beachten, dass gemäß § 275c Abs. 5 SGB V Widerspruch und Klage gegen die Geltendmachung des Aufschlags nach Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung haben.
Von mehreren Krankenkassen wurden Aufschlagszahlungen bereits geltend gemacht und nach Festsetzung auch verrechnet. Dabei hat zumindest eine Krankenkasse, mit Verweis auf die nicht geklärte Rechtslage, angekündigt, nicht über den eingelegten Widerspruch entscheiden zu wollen, bis die Rechtslage geklärt ist. Bei diesem Vorgehen wäre der Widerspruchsführer rechtlos gestellt, sodass hier die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs im einstweiligen Rechtsschutz wiederhergestellt werden müsste.
Das Sozialgericht Landshut (Az.: S 4 KR 98/22) führt zu einem entsprechenden Antrag aus, dass bei ergebnisoffenen Erfolgsaussichten des Widerspruchs eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Antragsgegnerin bzw. dem öffentlichen Interesse daran, dass eine aufschiebende Wirkung entfällt, vorzunehmen ist. Da der Gesetzgeber den Vorrang des Vollziehungsinteresses sieht und keine unbillige Härte mit der Aufschlagszahlung einhergehe, falle diese zu Lasten des Krankenhauses aus.
Eine entgegengesetzte Auffassung vertritt u.a. das Sozialgericht Hannover (Az.: S 76 KR 112/22). Dieses sieht das Interesse des Krankenhauses auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung als gegeben an und führt aus, dass der Bescheid rechtswidrig sein dürfte. Zur Begründung führt das SG an, dass Sinn und Zweck des § 275c Abs. 3 SGB V nach der Gesetzesbegründung offensichtlich die Schaffung eines Anreizes für eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung sei. Entscheidender Anknüpfungspunkt für die Anwendung von § 275c Abs. 3 SGB V sei somit eine Rechnungserstellung der Krankenhäuser im Jahr 2022 (ebenso: SG Mannheim, Az.: S 15 KR 382/22).
Die ersten Sozialgerichte bestätigen mithin, dass Bescheide der Krankenkassen über Aufschlagszahlungen nach § 275c Abs. 3 für Fälle, in denen die Rechnungen vor dem 01.01.2022 gestellt wurden, rechtswidrig sind.