Maßgeblicher Zeitpunkt für die Aufschläge bei Strafzahlungen

Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.06.2022 (L 4 KR 198/22 B ER)

Weiterhin ist umstritten, für welche Behandlungsfälle Strafzahlungen anfallen.

In § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V heißt es:

 „Ab dem Jahr 2022 haben die Krankenhäuser bei einem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 % neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag auf diese Differenz an die Krankenkassen zu zahlen.“

Das Gesetz verhält sich nur zu der Tatsache, dass die Strafzahlungen „ab dem Jahr 2022″ anfallen sollen. Zu der maßgeblichen Zäsur verhält sich das Gesetz hingegen nicht.

Dass das Datum des Zugangs der Leistungsentscheidung durch die Krankenkasse nicht maßgeblich sein kann, bestätigte nun das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 13.06.2022. Dem vorangegangen war ein Antragsverfahren auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Hannover. Das Sozialgericht Hannover ordnete mit Beschluss vom 18.03.2022 (S 76 KR 112/22 ER KH) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Krankenhauses gegen den Bescheid der Krankenkasse an.

Nicole Wagner

Nicole Wagner

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

Rechtsanwältin Wagner berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren, außerdem berät sie Leistungserbringer zur Kostensicherung.

Das Sozialgericht Hannover bestätigte, dass als Anknüpfungspunkt für die Anwendung des § 275c Abs. 3 SGB V die leistungsrechtliche Entscheidung der Krankenkasse nicht in Betracht kommt. Vielmehr komme es auf die Rechnungsstellung an. Dazu führte das Sozialgericht Hannover aus:

„(…) Die Abrechnungsqualität eines Krankenhauses bestimmt zukünftig den Umfang der zulässigen Prüfungen von Schlussrechnungen für vollstationäre Krankenhausbehandlung durch die MD. Hierzu wird ab dem Jahr 2020 eine zulässige Prüfquote je Krankenhaus bestimmt, die den Umfang der von den Krankenkassen beauftragten MD-Prüfungen begrenzt. Die Höhe der quartalsbezogenen Prüfquote ist ab dem Jahr 2021 von dem Anteil der unbeanstandeten Abrechnungen eines Krankenhauses abhängig. (..) Durch dieses Stufensystem erhalten die Krankenhäuser einen Anreiz für eine regelkonforme Rechnungsstellung. (…) Mit dem neuen Absatz 3 wird für Krankenhäuser ein Aufschlag auf die Differenz zwischen dem ursprünglich vom Krankenhaus zu hoch berechneten Rechnungsbetrag und dem nach der Abrechnungsprüfung durch den MD geminderten Rechnungsbetrag eingeführt. Hierdurch wird neben der gestaffelten Prüfquote ein weiterer Anreiz für Krankenhäuser geschaffen, einer regelkonformen Rechnungsstellung eine hohe Aufmerksamkeit zu widmen. (BR-Drs. 359/19, S. 69, Hervorhebung durch Vorsitzenden).“

 Weiter heißt es in der Entscheidung:

„Sinn und Zweck des § 275c Abs. 3 SGB V ist nach der Gesetzesbegründung daher offensichtlich die Schaffung eines Anreizes für eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung. Entscheidender Anknüpfungspunkt für die Anwendung von § 275c Abs. 3 SGB V ist somit eine Rechnungserstellung der Krankenhäuser im Jahr 2022. Denn im Zeitpunkt der Rechnungsstellung soll das Krankenhaus ab dem Jahr 2022 durch die Regelung dazu angehalten werden, eine regelkonforme Kodierung und Abrechnung vorzunehmen, die nicht zu einer Beanstandung durch die Krankenkassen führt. Auch das BMG geht in seiner Stellungnahme vom 13.10.2021 davon aus, dass der Aufschlag für die Krankenhäuser einen Anreiz für eine regelkonforme Abrechnung setzen soll. (…) Auch die Verschiebung der Erhebung der Aufschläge vom Jahr 2020 auf das Jahr 2022 aufgrund der Corona-Pandemie ist kein schlüssiges Argument für eine frühestmögliche Erhebung von Aufschlägen. Auch bei einem Inkrafttreten der Regelung im Jahr 2020 wäre eine Debatte um den richtigen zeitlichen Anknüpfungspunkt entstanden. Durch eine Verschiebung des Inkrafttretens kann jedoch nicht die Intention des Gesetzgebers umgangen werden, für welches Verhalten der Krankenhäuser die Regelung vorgesehen ist. Auf die leistungsrechtliche Entscheidung der Krankenkassen kann es daher nicht ankommen. Da ein Verhalten des Krankenhauses belohnt bzw. sanktioniert werden soll, ist ein zeitlicher Anknüpfungspunkt, auf den das Krankenhaus keinen Einfluss mehr hat, weder zielführend noch angemessen. (..)“

Gegen den Beschluss erhob die Krankenkasse Beschwerde zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen wies die Beschwerde der Krankenkasse zurück und konstatierte zusammenfassend, dass das Sozialgericht Hannover mit zutreffender Begründung zum richtigen Ergebnis gelangt sei, respektive der Bescheid der Krankenkasse nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich allein gebotenen summarischen Prüfung rechtswidrig sei. Zudem vermochte sich der Senat nicht die Überzeugung davon zu verschaffen, dass es für die zeitliche Anwendbarkeit der Aufschlagszahlung nicht auf den Zeitpunkt des Behandlungsfalles/der stationären Aufnahme in das Krankenhaus ankomme, weil das Bundessozialgericht in der seinerzeitigen Umstellung/Erhöhung der Aufwandspauschale ebenfalls auf das Datum der stationären Aufnahme im Krankenhaus abgestellt habe. Die Aufwandpauschale weise eine Parallele zur Aufschlagszahlung auf.

Gegen den Widerspruchsbescheid der Krankenkasse wurde Anfechtungsklage zum Sozialgericht Hannover erhoben. Es besteht die Bestrebung, eine priorisierende Entscheidung herbeizuführen, um sodann – möglichst beschleunigt durch eine Sprungrevision – eine höchstrichterliche Klärung durch das Bundessozialgericht herbeizuführen.