Kodierung einer angeborenen bikuspidalen Aortenklappe – Berücksichtigung der Entscheidung des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene

Ein in mehrfacher Hinsicht lesenswertes Urteil des BSG vom 22.06.2022 zum Az. B 1 KR 31/21 R befasst sich nicht nur mit der häufiger auftretenden Frage, ob als Hauptdiagnose bei einer hochgradigen Aortenklappenstenose bei Vorliegen einer angeborenen bikuspidalen Aortenklappe die ICD Q23.- oder die ICD I35.0 zu kodieren ist, sondern auch mit Fragen hinsichtlich der Beschlüsse des Schlichtungsausschusses Bund nach § 19 Abs. 6 KHG.

Dem Urteil lag folgender Lebenssachverhalt zur Entscheidung zugrunde:

Das zugelassene Krankenhaus (KH) behandelte eine Patientin im Jahre 2015 vollstationär wegen einer hochgradigen Aortenklappenstenose, wobei die Patientin eine angeborene bikuspidale Aortenklappe hatte. Das KH kodierte als Hauptdiagnose den ICD-Kode Q23.0 (angeborene Aortenklappenstenose). Die Krankenkasse (KK) war demgegenüber auf Grundlage eines MDK-Gutachtens der Auffassung, als Hauptdiagnose müsse die ICD I35.0 (Aortenklappenstenose) kodiert werden. Im Rahmen des Klageverfahrens machte das KH geltend, als Hauptdiagnose müsse die ICD Q23.1 (angeborene Aortenklappeninsuffizienz) kodiert werden. Sowohl erstinstanzlich, als auch zweitinstanzlich hat das Krankenhaus obsiegt.

Das Bundessozialgericht hat nun in seinem Urteil die Revision der Krankenkasse zurückgewiesen und dies auf folgende wesentliche Gründe gestützt:

Frank Wölfer

Frank Wölfer

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwalt Wölfer berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

  1. Wortlaut und Systematik

Bei einer angeborenen bikuspidalen Aortenklappe, welche eine Funktionsstörung verursache, sei stets der Kode Q23.1 einschlägig, weil der Wortlaut nicht danach differenziere, ob die durch die bikuspidale Aortenklappe ausgelöste funktionelle Störung in einer unzureichenden Schließfähigkeit der Aortenklappe bestehe oder in einer degenerativen Aortenklappenstenose. Der Wortlaut des Kodes Q23.1 nenne allein eine durch ihre äußere Gestalt definierte, bikuspidale Aortenklappe ausdrücklich und ohne weitere Voraussetzungen als Unterfall der angeborenen Aortenklappeninsuffizienz.

In systematischer Hinsicht seien von der Kategorie I35.- (nichtrheumatische Aortenklappenkrankheiten) durch das dortige Exklusivum neben den als rheumatisch bezeichneten auch sämtliche Aortenklappenkrankheiten ausgeschlossen, die „Als angeboren bezeichnet (Q23.0, Q23.1, Q23.4- Q23.9)“ sind.

Nach dem Wortlaut und der Systematik schließe daher der einschlägige Kode Q23.1 den von der Krankenkasse befürworteten Kode I35.0 aus.

Aus rechtlicher Sicht ist dieses Ergebnis des BSG nicht zu beanstanden.

  1. Entscheidung des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene nach § 19 KHG vom 25.11.2020 zu der KDE 585

Interessanter sind die Ausführungen des BSG hinsichtlich der Anwendung der Entscheidung des Schlichtungsausschusses vom 25.11.2020 zu der KDE 585, weil sich das Bundessozialgericht erstmals hierzu überhaupt äußert.

Da die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses als Kodierregeln gelten und deshalb gegenüber den nicht an dem jeweiligen Verfahren beteiligten Personen und Institutionen normative Wirkungen entfalten, stellte sich die grundsätzliche Frage, ob diese Entscheidung auf den vorliegenden Fall aus dem Jahr 2015 Anwendung findet und damit die juristische Frage der rückwirkenden Geltung dieser Entscheidung. Das BSG wies in seinem Urteil darauf hin, dass die Schlichtungsbeschlüsse nur für Fälle gelten, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Schlichtungsbeschlüsse bereits Gegenstand einer Prüfung durch den MD „sind“. Gegenstand einer Prüfung durch den MDK seien Behandlungsfälle jedenfalls dann nicht (mehr), wenn die KK dem KH ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch bereits mitgeteilt hat. Da dies in dem vom BSG zu entscheidenden Fall bereits erfolgt war, war nach Auffassung des BSG die Entscheidung des Schlichtungsausschusses zeitlich nicht mehr anwendbar.

Das BSG hat jedoch eine weitere Frage aufgeworfen, die für eine Vielzahl der Entscheidungen des Schlichtungsausschusses in zukünftigen Fällen relevant werden könnte. Das BSG warf die grundsätzliche Frage auf, ob auch die vorliegende Fallgestaltung von der Entscheidung inhaltlich umfasst sei, oder ob diese derart konkret einzelfallbezogen ist, dass sie als allgemeingültige Regel von vornherein ungeeignet erscheint. Diese grundsätzliche Frage, welche für eine Vielzahl von Entscheidungen des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene zutreffen dürfte, bleibt zukünftigen Entscheidungen des BSG vorbehalten. Dass das BSG diese Frage doch überhaupt aufwirft, dürfte bereits als Fingerzeig für zukünftige Entscheidungen gelten.

Ebenfalls interessant ist die aufgeworfene Frage des BSG, ob im Rahmen einer konkreten Abrechnungsstreitigkeit die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses inzident gerichtlich überprüfbar sind. Auch insoweit bleibt es zukünftigen Entscheidungen des BSG vorbehalten, jedoch hat sich das BSG mit dieser Formulierung die Hintertür einer gerichtlichen Überprüfung der Entscheidungen des Schlichtungsausschusses offengehalten.