Wahlleistungen: Vertretung im Notfall
Das Amtsgericht Bamberg hatte sich mit Urteil vom 29.04.2022, 0120 C 866/21 mit der Frage zu beschäftigen, ob mit einem Notfallpatienten eine Individualvereinbarung geschlossen werden kann.
Die private Krankenversicherung des Privatpatienten argumentierte, dass eine Individualvereinbarung nach der Rechtsprechung des BGH im Falle einer vorhersehbaren Verhinderung des Wahlarztes nur dann wirksam sei, wenn der Patient tatsächlich die Entscheidungsfreiheit habe, die wahlärztlichen Leistungen durch einen bestimmten Vertreter des Wahlarztes zu beanspruchen, die Behandlung, wenn möglich zu verschieben oder sich mit den allgemeinen Krankenhausleistungen zu begnügen. Erforderlich sei dafür, dass die wesentlichen Einzelheiten im Detail mit dem Patienten persönlich erörtert würden und ihm eine echte Wahlmöglichkeit eingeräumt werde. Der Patient habe im vorliegenden Fall jedoch keine Zeit gehabt, eine abgewägte Entscheidung zu treffen, da die Individualvereinbarung erst 90 Minuten vor der Operation unterschrieben wurde.
Melanie Tewes
Fachanwältin für Medizinrecht
Rechtsanwältin Tewes berät und vertritt Vertragsärzte, Krankenhäuser und andere Leistungserbringer in medizinrechtlichen, vorwiegend vertragsärztlichen Angelegenheiten (Ambulanzen, Ermächtigungen).
Das Amtsgericht Bamberg gab der Klage des Krankenhauses statt. Der BGH habe im Urteil vom 20.12.2007, III ZR 144/07 ausgeführt, dass der Arzt, der gegenüber einem Patienten aus einer Wahlleistungsvereinbarung verpflichtet sei, seine Leistungen grundsätzlich selbst erbringen müsse, im Fall seiner Verhinderung jedoch auch die Ausführung seiner Kernleistungen auf einen Stellvertreter übertragen dürfe, sofern er mit dem Patienten eine entsprechende Vereinbarung wirksam getroffen habe.
Der BGH habe die Anforderungen an die Stellvertretervereinbarung wie folgt konkretisiert:
„Wird eine Stellvertretervereinbarung im Wege der Individualabrede geschlossen, bestehen gegenüber dem Patienten besondere Aufklärungspflichten, bei deren Verletzung dem Honoraranspruch des Wahlarztes der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegensteht. Danach ist der Patient so früh wie möglich über die Verhinderung des Wahlarztes zu unterrichten und ihm das Angebot zu unterbreiten, dass an dessen Stelle ein bestimmter Vertreter zu den vereinbarten Bedingungen die wahlärztlichen Leistungen erbringt. Weiter ist der Patient über die alternative Option zu unterrichten, auf die Inanspruchnahme wahlärztlicher Leistungen zu verzichten und sich ohne Zuzahlung von dem jeweils diensthabenden Arzt behandeln zu lassen. Ist die jeweilige Maßnahme bis zum Ende der Verhinderung des Wahlarztes verschiebbar, ist dem Patienten auch dies zur Wahl zu stellen.“
Diese Anforderungen seien hier erfüllt worden. Insbesondere führe der kurze Zeitraum zwischen Eingriff und Unterzeichnung der Stellvertretervereinbarung nicht zur Unzumutbarkeit oder Unwirksamkeit einer solchen Vereinbarung. Der Patient hatte hier bereits eine Wahlleistungsvereinbarung unterschrieben und damit zum Ausdruck gebracht, dass ihm eine Leistungserbringung durch den diensthabenden Arzt gerade nicht ausreicht, sondern er eine Leistungserbringung durch den Wahlarzt wünscht. Die grundsätzliche Entscheidung, für eine Behandlung durch bestimmte Personen einhergehend mit einer höheren Vergütung hätte der Patient danach zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Individualvereinbarung bereits getroffen. Auch bei kurzfristig erforderlichen Notfallmaßnahmen, entspreche die Nachfrage, ob er in der Notfallsituation bei Verhinderung des Wahlarztes die Leistungserbringung durch dessen Stellvertreter oder den diensthabenden Arzt wünscht, daher grundsätzlich dem Interesse des Patienten und könne nicht als unzumutbar angesehen werden.
Angesichts der Tatsache, dass der Patient vorliegend bereits eine Wahlleistungsvereinbarung unterzeichnet habe, erscheine auch die Zeit zur Überlegung nicht grundsätzlich als zu kurz. Dass der Patient zum Zeitpunkt der Unterzeichnung aufgrund seiner damaligen konkreten Situation innerhalb dieser Zeitspanne eine überlegte Entscheidung nicht hätte treffen können, sei nicht substantiiert vorgetragen worden.
Dass bei unaufschiebbaren Behandlungen der wirksame Abschluss einer Stellvertretervereinbarung nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, ergäbe sich bereits aus den Gründen des o.g. Urteils des BGH, da danach, wenn die jeweilige Maßnahme bis zum Ende der Verhinderung des Wahlarztes verschiebbar ist, dem Patienten auch dies zur Wahl zu stellen sei. Dies bedeute gerade nicht, dass eine Verschiebbarkeit Voraussetzung einer wirksamen Stellvertretervereinbarung wäre, sondern erhöhe lediglich die zur Wahl zu stellenden Alternativmöglichkeiten.