Es ist noch nicht aller Tage Abend
Immer wieder streiten Leistungserbringer und Kostenträger bundesweit über die Vergütung von Leistungen aus den „Grenzbereichen“ des SGB V, etwa bei Leistungen nach § 2 Abs. 1 a SGB V, § 137c Abs. 3 SGB V („NUB“), § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V (Erfüllung des Qualitätsgebots), § 137c Abs. 2 S. 2 HS. 2 SGB V i.V.m. § 8 Absatz 1 S. 2 Krankenhausentgeltgesetz (Studienteilnahme) oder den Fällen des sogenannten Off-Label-Use.
So auch im Verfahren vor dem Landessozialgericht Thüringen (Az. L 2 KR 683/21).
Eric Gröger
Fachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwalt Gröger berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.
Was war geschehen?
Die gesetzlich krankenversicherte Patientin wurde in einem Haus der Maximalversorgung während eines stationären Aufenthalts aufgrund einer akuten lymphatischen Leukämie behandelt. Wegen des Ausmaßes der Lymphominfiltrationen entschieden sich die behandelnden Ärzte zu einer Zentralnervensystem-Prophylaxe mittels hochdosiertem Methotrexat (MTX). Wegen einer laborchemisch nachgewiesenen verzögerten MTX-Ausscheidung erfolgte zunächst zusätzlich zur laufenden Hydratation die Gabe von Folinsäure als MTX-Antagonist. Da der MTX-Spiegel dennoch erhöht blieb und sich gleichzeitig die Nierenfunktionswerte erheblich verschlechterten, bestellten die behandelnden Ärzte umgehend ein Notfall-Medikament, konkret Voraxaze (Antidot; Wirkstoff Carboxypeptidase G2), bei einem im europäischen Ausland ansässigen Unternehmen. Voraxaze besaß zum damaligen Behandlungszeitpunkt lediglich in den USA die erforderliche Zulassung.
Nach Applikation und im Anschluss an die insgesamt erfolgreiche Behandlung rechnete das Krankenhaus neben der DRG-Fallpauschale auch die tatsächlich angefallenen Kosten hinsichtlich des applizierten Notfall-Medikamentes in Höhe von mehr als 60.000 € gegenüber der Krankenkasse ab. Da die Kasse wenig überraschend die Zahlung verweigerte, war Klage geboten.
Die Entscheidung der I. Instanz
Das SG Altenburg gelangte zutreffend zu der Auffassung, dass die Krankenkasse die Kosten für das – unstreitig – zu applizierenden Notfall-Medikament zu tragen habe und verurteilte die Krankenkasse antragsgemäß. Den Anspruch des Krankenhauses leitete das SG dabei aus §§ 2 Abs. 1 S. 3, 2 Abs. 1a SGB V i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG her. Den Grundsätzen der beiden Normen folgend, könnten Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende, Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbar positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Dies sei zwischenzeitlich auch im § 2 Abs. 1a SGB V festgehalten worden. Dies würde in logischer Konsequenz im Ausnahmefall zur Verpflichtung einer Krankenkasse führen, zusätzlich die Kosten für ein Medikament ohne arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland oder der EU übernehmen zu müssen. Diese Verpflichtung bestünde trotz der Regelungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 KHEntgG, wonach mit den Entgelten nach § 7 Abs. 1 S. 1 KHEntgG grundsätzlich alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen und damit auch die Versorgung mit Arzneimitteln vergütet werden sollen. Gegen die Entscheidung legte die Kasse umgehend Berufung ein.
Wie entschied das LSG Thüringen?
Das LSG wies nach stattgehabter mündlicher Verhandlung am 11.04.2024 die Berufung der Krankenkasse zurück. Der erkennende 2. Senat wies darauf hin, dass nach neuerlicher Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 137c SGB V auch ein Anspruch aus dieser Norm in Betracht käme und das erstinstanzliche Urteil letztlich nicht zu beanstanden sei.
Der Hinweis auf § 137c SGB V darf durchaus mit Verwunderung zur Kenntnis genommen werden, da das BSG bereits 2016 klargestellt hatte, dass es sich bei der Applikation von Fertigarzneimitteln nicht um eine Leistung nach § 137c SGB V handeln könne. Insoweit bleibt es die Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsgründe gespannt abzuwarten.
Die Revision wurde erfreulicherweise nicht zugelassen, § 160 Abs. 1 und 2 SGG.
Fazit
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Dem abermaligen Versuch einer gesetzlichen Krankenkasse, sich bei einer unstreitig erforderlichen medizinischen Maßnahme aus der Zahlungsverpflichtung freizusprechen, wurde richtigerweise eine Absage erteilt. Das Verfahren hat gezeigt, dass es sich im Zweifel lohnen kann, Ansprüche, die vermeintlich außerhalb des Vergütungsbereichs des SGB V liegen, gerichtlich einzufordern.