Neue Erschwernisse für die Entwicklung von MVZ

Einschränkung der Sitzverlegung durch das BSG

BSG, Urteil vom 11.10.2017, Az.: B 6 KA 38/16 R

Gegenstand der Entscheidung ist § 24 Abs. 7 Satz 2 Ärzte-ZV. Diese Bestimmung erlaubt die Verlegung von Angestelltenstellen. In dem streitgegenständlichen Fall sollten Vertragsarztstellen aus einem bereits bestehenden MVZ verlegt werden, um mit diesen Arztstellen ein weiteres MVZ zu gründen. Die Zulassungsgremien, das Sozialgericht Hamburg (Urt. v. 28.09.2016, u. a. S 27 KA 39/16) und das Bundessozialgericht lehnten diese MVZ-Gründung aufgrund Sitzverlegung ab. Die Sitzverlegung sei nur zwischen bereits bestehenden MVZ desselben Trägers, aber nicht zur MVZ-Neugründung zulässig. Das geht aus dem bisher vorliegenden Terminsbericht bzw. der Terminvorschau hervor. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.

Damit ist erneut eine Gestaltungsmöglichkeit für MVZ–Modelle beschnitten worden, ohne dass diese Beschränkung dem Gesetz notwendigerweise zu entnehmen wäre. Ob aus der Entscheidung darüber hinausgehende Einschränkungen für bisher mögliche Gestaltungen folgen, werden erst die Urteilsgründe zeigen.

Kontext der Entscheidung

Gesetzliche Regelungen

  • 24 Abs. 7 Ärzte-ZV lautet:

1Der Zulassungsausschuss darf den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes nur genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. 2 Entsprechendes gilt für die Verlegung einer genehmigten Anstellung.

Gesetzesbegründung

Die Gesetzesbegründung im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, in Kraft getretenen am 23.07.2015, lautet wie folgt (BT-DRS, 18/4095, Seite 146):

Mit der Ergänzung in Absatz 7 wird sichergestellt, dass MVZ bei Zulassung und Betrieb nicht gegenüber Vertragsärztinnen und Vertragsärzten benachteiligt werden. MVZ und Vertragsärztinnen und Vertragsärzte müssen gleiche Gestaltungsmöglichkeiten haben. Daher wird die Verlegung einer Anstellungsgenehmigung von einem MVZ in ein anderes MVZ (in gleicher Trägerschaft oder bei Identität der Gesellschafter) geregelt. Eine solche Übertragung der Anstellungsgenehmigung ist analog der Sitzverlegung bei der Zulassung zulässig. Danach ist die Verlegung nur dann zulässig, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen.

Hierzu ist zu berücksichtigen, dass eine Verlegung von Berufsausübungsgemeinschaften aus Vertragsärzten durch Verlegung der zu Grunde liegenden Zulassungen der Ärzte unproblematisch möglich ist. Dabei traf es – soweit ersichtlich – auch nicht auf Bedenken, dass angestellte Ärzte, die der jeweiligen Zulassung nach alter Rechtslage zugeordnet waren, mit verlegt wurden. Damit war auch unproblematisch eine Teilung einer Berufsausübungsgemeinschaft möglich, in dem z.B. zwei Gesellschaftersitze verlegt wurden und danach an den jeweiligen Orten zwei selbstständige Berufsausübungsgemeinschaften oder eine gemeinsame ÜBAG fortgeführt wurden. Hinzu tritt, dass das BSG zwischenzeitlich von einer weitgehenden Konvergenz im Hinblick auf den Status von Angestellten zwischen BAG und MVZ ausging (BSG, Urt. v. 04.05.2016, B 6 KA 24/15 R, Rn. 13 bis 16). Diese Konvergenz legte nahe, die Gestaltungsvarianten von BAG und MVZ als vergleichbar verstanden zu wissen und ihnen damit auch die gleichen Gestaltungsoptionen – auch für eine Zerlegung per Verlegung zu gewähren.

Bewertung

In diesem Kontext drängt sich im Hinblick auf den Gesetzestext und die Zielsetzung des Gesetzgebers, gleiche Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, das vom Bundessozialgericht gefundene Ergebnis keinesfalls auf. Unter Berücksichtigung der bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten für Vertragsärzte in Berufsausübungsgemeinschaften und der Gleichstellungsabsicht des Gesetzgebers sollte man das Gegenteil erwarten können. Allerdings ist die gesetzliche Bestimmung des § 24 Abs. 7 Satz 2 Ärzte-ZV der Auslegung zugänglich. Das eröffnet einen breiten Argumentationsspielraum. In diesem wird der einer BAG fehlende selbstständige „Zulassungsstatus“ von MVZ  zu einem versagungsbegründenden Makel für das MVZ, weil es für die in Rede stehende Verlegung zwecks Teilung einer weiteren selbstständigen Zulassung bedürfte, die § 24 Abs. 7 Satz 2 Ärzte-ZV nicht einräumte.

Diese Argumentation, die auf die Besonderheiten der selbstständigen Zulassung von MVZ abhebt, verkennt freilich, dass in der selbstständigen Zulassung nur ein vermeintliches Privileg im Vergleich zur BAG aus Vertragsärzten liegt. Eine BAG bedarf schon keiner selbstständigen Zulassung, da die Ärzte auch in einer BAG Zulassungsinhaber bleiben. Dementsprechend bedarf es für die Verlegung von Zulassungen aus einer BAG heraus zwecks Neugründung einer weiteren BAG schon keines weiteren „Zulassungsstatus“. Hier ein „Privileg“ von MVZ anzunehmen, dem entgegengetreten werden müsse, ist so überzeugend, wie einen Wettbewerbsvorteil eines Einbeinigen in einem 100-m-Lauf  gegenüber Gesunden anzunehmen, weil man dem Einbeinigen Krücken gegeben hat.

Zu beachten ist außerdem der auch für die BAG anerkannte, besondere vertragsarztrechtliche Status mit einheitlicher Rechtspersönlichkeit gegenüber der KV (BSG Urt. v. 04.05.2016, B 6 KA 16/15 R, aaO). Dieser Status würde in der vorliegenden, vergleichbaren Konstellation unproblematisch auch ein zweites Mal eingeräumt, ohne dass hier das BSG die Notwendigkeit einer besonderen, positiven gesetzlichen Regelung hierfür sieht. Im Gegenteil: das BSG räumt sogar ein, dass dem SGB V nichts Näheres zur BAG zu entnehmen ist und gestaltet deswegen diesen Status nach eigenem Ermessen aus. Das geschieht bei der BAG – auch nach einer Verlegung zwecks Teilung – unproblematisch durch Genehmigung einer weiteren BAG und ohne dass man sich durch das Fehlen einer gesetzlichen Regelung an irgendetwas gehindert sähe. Anders beim MVZ. Dort wird eine nicht unmissverständliche Anweisung des Gesetzgebers dazu genutzt, anders als bei der BAG im Zweifel gegen die Gestaltungsoptionen zu entscheiden. Das zeigt, mit welch variablen Ellen gemessen wird. Dass der Gesetzesvorbehalt dabei außerdem auf den Kopf gestellt wird, hat schon Tradition. Dürfte eine Gestaltungsvariante bei Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze erst versagt werden, wenn eine gesetzliche Regelung eindeutig entgegensteht, gilt hier, dass eine Gestaltung erst dann möglich ist, wird sie so ausdrücklich erlaubt, dass sie nur noch unter offenem Gesetzesbruch zu unterbinden wäre.

Zugleich bleibt die in der behördlichen Perspektive wie auch der Rechtsprechung mitunter gezogene Trennlinie zwischen (vermeintlich) bereits diskriminierten Vertragsärzten auf der einen Seite und (privilegierten) MVZ auf der anderen Seite begründungsbedürftig. Vertragsärzten stehen die BAG wie auch die MVZ-Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, wobei der Wechsel in ein MVZ und wieder zurück in die BAG sogar einfach möglich ist, wenn die vorhandene GbR als Träger aufrechterhalten wird. Wie jemandem, dem zwei Formen zur freien Wahl und jederzeitigem Wechsel zur Verfügung stehen, durch Unterschiede zwischen den beiden Formen unzulässig diskriminiert werden könnte, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Dass es insoweit angesichts der mehrheitlichen Beherrschung von MVZ durch Vertragsärzte nicht nur um eine theoretisch, sondern tatsächlich genutzte Variante geht, macht auch den weiteren Begründungsansatz unzutreffend. Nach diesem wäre einer Vormachtstellung der Krankenhäuser entgegenzutreten (vgl. SG Hamburg, aaO, Rn. 30 f). Fast nur noch mit Ironie ist sodann zu quittieren, dass Entscheidungen, wie die vorliegende, MVZ in Inhaberschaft von Vertragsärzten typischerweise härter treffen als MVZ institutioneller Inhaber, da letztere ggf. deutlich kostenintensivere Auswege nehmen können, die den Vertragsarzt-MVZ versperrt bleiben. Der etwa gewollte Schutz der Vertragsärzte ist dann ein klassischer Pyrrhus-Sieg.

Die demgegenüber relevanten Auslegungstopoi der bedarfsgerechten Versorgung (vgl. § 70 Abs. 1 SGB V) – vor dem Hintergrund der Grundprinzipien des SGB V stets primär anzuerkennen – werden dagegen kontinuierlich ignoriert. Dass MVZ der bedarfsgerechten Versorgung dienen, indem arbeitsteilige, integrierte und – nicht zuletzt – den Ärzten selbst entgegenkommende Gestaltungen als _weitere_ Variante neben BAG und Einzelzulassung gefördert werden, findet kaum Erwähnung. Vielmehr wird eine vermeintliche Konkurrenzstellung diskutiert, in der man fast zwanghaft die eine gegen die andere Gestaltungsform ausspielt, gleichgültig, ob das im Sinne einer bedarfsgerechten, vielseitigen Versorgungslandschaft ist oder nicht. Richtigerweise wären die Bedarfe für verschiedene Gestaltungsvarianten – vom Einzelarzt über die mittelgroße BAG bis hin zu konzernähnlich organisierten Leistungserbringern – anzuerkennen und deren Nebeneinander auszugestalten. Zu solchen an realen Organisationsbedürfnissen, Pluralität, Liberalität und Innovationsnotwendigkeit orientierten Überlegungen, die jeweils ausreichende Anknüpfungspunkte im SGB V, der Ärzte-ZV und nicht zuletzt dem Grundgesetz finden, lässt sich die Rechtsprechung leider nicht motivieren.

Dementsprechend fügt sich die Entscheidung in den MVZ-kritischen Kontext der BSG-Rechtsprechung ein, die auf eine Restriktion der gesetzlichen Intentionen für MVZ zielen (s. z.B. BSG Urt. v. 04.05.2016, B 6 KA 16/15 R). Folglich ist es bedauerlich, dass der Pluralität der Bedarfe die Akzeptanz durch die Rechtsprechung erneut versagt wird. Wo der Gewinn für die Versorgung oder auch nur einzelne Akteure liegen sollte, der durch solche Restriktionen eintreten soll, bleibt schwer nachzuvollziehen. Von Rechts wegen ist solch eine restriktive Auffassung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als „vom Gesetz gefordert“ zu rechtfertigen.

Ausblick

Interessant wird die nähere Entscheidungsbegründung sein. Nach dem Terminsbericht deutet sich an, dass der Anwendungsbereich des § 24 Abs. 7 Satz 2 Ärzte-ZV präzisiert wird. Danach dürfte die Verlegungsmöglichkeit nur für MVZ desselben Betreibers oder bei Gesellschafteridentität der Betreibergesellschaft infrage kommen. Weiterhin wird die Begründung ggf. Aufschluss darüber geben, wie mit Anstellungsverhältnissen in BAG zukünftig zu verfahren sein wird.

Darüber hinaus wird interessant sein, ob sich aus der Urteilsbegründung auch Ableitungen für andere, nahestehende Gestaltungsmöglichkeiten ergeben. Diese liegen in der Auftrennung von großen MVZ in zwei MVZ der gleichen Trägergesellschaft vorerst am gleichen Ort sowie der umwandlungsrechtlichen Spaltung von MVZ-Trägergesellschaften. Auch solche Varianten können in Sitzverlegungen münden, wobei dann aber das MVZ ohne gleichzeitige Neugründung verlegt würde. Blieben solche Gestaltungsvarianten, könnte zumindest noch schrittweise ähnlich einer BAG flexibilisiert werden. Würde dagegen Gestaltungsmissbrauch gewittert, wäre zukünftig Vorsicht bei der Bildung großer MVZ geboten, weil deren Aufspaltung kompliziert werden kann. Soweit möglich, werden dann ggfs.  – bei gleicher Trägerschaft – mehrere kleine MVZ-Einheiten an einem Ort großen MVZ vorzuziehen sein.

Dr. Andreas Penner                    Dr. Felix Reimer LL.M. (Medizinrecht)